In Between

2. August – 21. September 2014

Magdalena Abele – Fotografie
Johannes Lacher – Malerei

Eröffnungsrede von Dr. Ute Hübner

Grundsätzliche Fragen nach dem Wesen des Bildes, nach den Grenzen tradierter Sehordnungen, sowie nach der Subversion bildmedialer Strategien beschäftigen zeitgenössische Maler und Fotografen gleichermaßen.

Es ist es immer wieder spannend, in der Konfrontation dieser beiden Bildmedien, bei aller Unterschiedlichkeit, durchaus auch nach verbindenden Eigenschaften zu forschen.
Daher haben wir uns, Magdalena Abele, Johannes Lacher und ich, ganz bewusst für eine gemischte Hängung von Fotografie und malerischen Werken entschieden, in Anlehnung an den Ausstellungstitel IN BETWEEN.
So entsteht ein Dazwischen - ein Raum zwischen zwei Dingen, der sich auf das Spannungsfeld oder die Korrespondenzen zwischen den jeweiligen Arbeiten bezieht.
Jedes dieser Werke beansprucht deshalb hier, in der Villa Bosch, eine Wand für sich und sorgt aus seiner individuellen Position für Eigenständigkeit, keines zwingt ein anderes auf seinen Kurs. Die Ausstellung wird auf diese Weise zum Forschungsfeld des Visuellen - im konkreten und abstrakten Sinn.

Schauen wir zunächst auf die Fotografien von Magdalena Abele.
Die hier ausgestellten Arbeiten sind zwischen 2010 und 2014 entstanden, auf ihren Reisen, die für die Fotografin längst zur unabdingbaren Inspirationsquelle geworden sind. Es zeigen sich Sammlungen von fotografisch fixierten Landschaften und Naturausschnitten, die den Blick auf das Spiel der Formen, auf Oberflächen und Licht, auf das Elementare und stimmungshafte in der Natur lenken.
Ihre bevorzugten Motive sind Orte, die als touristische Anziehungspunkte, als Ausflugsziele weltweit bekannt sind. Also trifft die Fotografin bei ihren Streifzügen hier auch auf Menschen, die sich in diesen Landschaften bewegen.
Sei es am Fuße des berühmten El Capitan Felsens im kalifornischen Yosemite Nationalpark, am Zabriskie Point, dem spektakulären Aussichtspunkt im Death Valley, am Angels Landing, dem meistbestiegenen Berg im Zion Nationalpark, oder bei den Niagara Fällen, an Stränden in Südkorea oder beim Besuch von berühmten europäischen Landschafts- oder Naturdenkmälern Portugals, Spaniens, der Schweiz und Deutschlands.
Diese landschaftlich reizvollen Panoramen in Kombination mit dem touristischen Verhalten des Menschen als gesellschaftlichem Phänomen bieten die visuelle Grundlage für Magdalena Abeles weiterführende künstlerische Auseinandersetzung.
Es sind zunächst die eindrucksvollen Kulissen und Szenerien, die unsere Aufmerksamkeit wecken. Die Gründe hierfür liegen in unseren tief verwurzelten Sehnsüchten nach Begegnung mit ursprünglicher Natur und landschaftlicher Schönheit, als Gegenentwurf zum übertechnisierten Alltag.
Erst dann folgt die Wahrnehmung der Menschen im Bild, die eher klein bis winzig erscheinen.
Der Blick der Kamera bietet in diesem Bereich keine Möglichkeit der genauen Identifizierung. Erst beim näheren Betrachten fällt auf, dass vereinzelte Regelmäßigkeiten oder Wiederholungen in den Figurengruppen auftauchen.
Irritationen, Verunsicherungen, ja Zweifel kommen auf, an der fotografischen Momentaufnahme.
In einigen Bildern wie beispielsweise in „Monument View" stellen wir fest, dass eine Frau mit weißem Hut und pinkfarbenem Rucksack gleich mehrere Doppelgängerinnen hat oder ein weiteres Zweiergrüppchen sich nahezu identisch durch das Bild bewegt, gleich einer filmischen Sequenz.
Spätestens hier wird deutlich: Die Bilder zeigen keine Momentaufnahme einer einzelnen Situation, sondern mehrere Ansichten zeitgleich in einem Bild.

Wie geht Magdalena Abele vor?
Die von ihr ausgewählte Aufnahme, das Grundbild, entsteht analog, wie sie sagt,
„aus der Hand geschossen". Dann fotografiert sie hintereinander zahllose Aufnahmen aus ein und derselben Perspektive und montiert nach Digitalisierung der Negative die Einzelsequenzen ins Ausgangsbild:
Personen verdoppeln, vervielfachen sich und bewegen sich so durch das Bild, dessen ursprüngliches Motiv, die Landschaftsansicht, von Abeles Nachbearbeitung unberührt bleibt.
Die aus einem ganz bestimmten Blickwinkel aufgenommene Landschaft wird zu einer Bühne, auf der die Figuren agieren, durch die bildliche Verdichtung werden ihre Bewegungen und deren Verlaufsrichtung sichtbar. Die Künstlerin wird also zur Choreographin ihrer Bildbühne: Sie entscheidet, wie viel an Inszenierung ein Bild verträgt, um genau die Stimmung auszudrücken, die sie subjektiv am jeweiligen Ort empfunden hat. Die Digitaltechnik ermöglicht hier einen nahezu malerischen Umgang mit dem Bildmaterial.
Ihre Aufnahmen sind somit nicht auf einer Zeitachse zu verankern, sie erscheinen vielmehr zeitenthoben.
Dabei sind die veränderten Bilder ja keine puren Erfindungen, sondern wie die Künstlerin selber sagt, „zeitliche Verdichtungen" von mehreren realen Momenten, von wirklichen Geschehnissen in einem Bild. Die klassische Auffassung von Fotografie als Momentaufnahme und das Realitätsversprechen von Fotografien selbst wird hier durch subtile Details in Frage gestellt.
Diese Eingriffe zeugen auch von Humor und Ironie: Menschen zu doppeln oder mehrfach auf der Bildebene zu arrangieren, die in ihrem touristischen Verhalten vor berühmten Naturphänomenen „posen". Hier entsteht dann eine spielerische Leichtigkeit in den Bildern Abeles.
Es ergibt sich eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten in ihrem Werk: vom „Wimmelbild", in dem ganze konstruierte Pilgerströme durch das Bild ziehen, über nur minimale Eingriffe, weil der Künstlerin für die Gesamtkomposition eine zusätzliche Staffage im Bildraum notwendig erscheint, bis hin zum unbearbeiteten Negativ.
Es zeigen sich Arbeiten, in denen das künstlerische Empfinden differenzierter und aufmerksamer scheint, da die landschaftlichen Motive gewissermaßen stiller, sprich weniger mächtig und präsent sind, wie zum Beispiel am „Strand von Busan".
Magdalena Abele sucht an von ihr bereisten Orten nicht immer das Charakteristische und Augenfällige, sie lässt sich ebenso treiben, um irgendwann, irgendwo, Situationen zu entdecken; die vordergründig vielleicht ganz und gar unspektakulär sind, sich aber bei näherer Betrachtung als visuell besonders reich erweisen.
In der Beschäftigung mit dem Landschaftsmotiv fällt bei der Fotografin ganz generell ein Rückbesinnen auf das Schlichte und Archaische auf.
Mut zur Reduktion und Leere, gezielter Einsatz von Wiederholung und Gleichförmigkeit sind die Stilmittel einer fotografischen Lyrik, mit der die Fotografin zu intensiver Betrachtung und zu suchendem, beharrlichen Schauen verführt.
Manche Ansichten sind gekennzeichnet durch eine Unschärfe, die sich wie ein schützender Schleier über ihr Motiv legt - damit meine ich Arbeiten wie „Crows Nest" oder „Terrapin Point Horseshoe Falls".
Die verschwommen, neblig wirkenden Bildflächen und das diffuse Licht vermindern den Kontrastumfang. Wasser, Nebel, Wolken in verschiedenen Erscheinungsformen evozieren eine mystische Stimmung, mit abstrakt anmutenden Elementen in der Darstellung.
Die Arbeiten von Magdalena Abele zeugen von einer frischen und eigenständigen Sehweise . Die Fotografin bietet ein Panoptikum der Perspektiven. Hier zeigt sie sich ähnlich frei wie eine Malerin gegenüber der Gestaltung ihrer Leinwand. Sie spielt mit dem Prozess des Sichtens und Sehens.
Dabei erforscht sie die Grenze zwischen Realität und Fiktion zwischen Wirklichkeit und Verfremdung:
Der Fotograf als Urheber von Inszenierungen lotet dabei ganz unterschiedlich aus. Zahlreiche Fotokünstler könnten hier aufgezählt werden. Kompositorische Parallelen in Bezug auf den Bildraum lassen sich beispielsweise bei Andreas Gursky ausmachen. Er verbindet große Formate mit hoher Auflösung, um die Wahrnehmung eines ganzen Bildes von der Detailwahrnehmung abzukoppeln – der Betrachter muss sich ähnlich wie bei Magdalena Abele entscheiden, ob er soweit entfernt steht, dass er es als Ganzes sieht, oder ob er sich nah genug positioniert, um die Details zu erkennen.
All diese Verfahren lassen sich so einsetzen, dass sie zu Gedanken anregen, die über das im strengen Sinne Gezeigte hinausgehen.
So ist, wie wir nun wissen, die realistische Darstellung auch bei Magdalena Abele nicht Ziel des Werkes. Was Bedeutung hat ist vielmehr der individuelle Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit, ihr Stil, ihr Konzept, ihre unverwechselbare Bildsprache.
Kaum dass wir die Künstlichkeit in ihren Szenerien bemerken, rattern bereits verschiedene Vorstellungen los, was denn hier unmittelbar bevorsteht. Dabei wird verzichtet auf große technische Animation, auf eine Überwältigung der Sinne. Und genau das ist es, was die Qualität der Bilder ausmacht.

So wenig genügt, und schon ist der Geist wach - womit wir bei den Bildern von Johannes Lacher wären.

Bei seinen Bildern schauen wir auf großformatige, abstrakte Kompositionen,. die in den Jahren 2008 bis heute entstanden sind. Sie sind bestimmt durch eine subtile Variationsbreite, die uns immer wieder zurück auf die materielle Ausgangslage von Farbe und Form führt.
Johannes Lacher verwendet Acryl- und industrielle Mischfarben auf festem Papier: Schicht um Schicht, auftragend, vermengend, bloßlegend, verschüttend, schürfend.
Mal breitet sich die Farbe neblig-deckend von schleierartiger Weichheit auf dem Bildgrund aus, dann stehen wir vor ausdrucksstarken Farbstreifen, deren unregelmäßiger Auftrag die gestische Bewegung des Künstlers spiegeln.
Durchgängig orientiert an der in sich ruhenden, ausgleichenden Quadratform, überzieht Lacher diesen Malgrund mit schablonenartigen, geometrischen Formen – die Linienführung ist präzise bei den silbrigen Rechtecken, Streifen und türkisfarbenen Kreisen, die die Bildfläche rhythmisieren.
Bei einem der Werke hier im Eingangsraum hat Johannes Lacher die Bildfläche mit einer titanweißen, kreidigen Haut überzogen. Stellenweise scheint die schwarze Untermalung immer wieder auf, tritt in Kontrast zum im Weiss innewohnenden Licht. Ein schlichtes, aus drei Linien bestehendes Motiv wird in der oberen Bildhälfte drei Mal wiederholt, in konstanter Strichstärke, wie mit dem Lineal gezogen. Die Linienführung lässt in ihrer Schärfe und Präzision die um sie herum befindliche Leere umso stärker hervortreten: Räume im Schwebezustand.
In seinen Arbeiten tauchen aber auch Linien auf, die eine gegenständliche Lesart zulassen, wie die angedeuteten silhouettenartigen Köpfe im Werk, das im Raum nebenan hängt, und das sie von der Einladungskarte her kennen.
Die Unmittelbarkeit des Zeichnens ist bekanntlich eine entscheidende Voraussetzung für die Beobachtung der Übergänge von Wahrnehmen und Denken. Vielleicht hat es Johannes Lacher auf diese Übergänge abgesehenen.
Zwischen dem vielschichtigem Malgrund und den akzentuierenden Markierungen entspinnt sich ein Dialog, der das Moment des Flirrens, das diesen malerischen Abstraktionen innewohnt, gleichsam spür- und sichtbar macht.
Der Emotionswert der Bilder von Johannes Lacher ist eher unbestimmt. Der Künstler braucht weder Farberuptionen, noch setzt er allein auf ein stilles Vibrato der Bildfläche. Er stellt dem Betrachter durchgearbeitetes Farbmaterial vor Augen. Seine Bilder leben aus auf- und abschwellenden Farbwerten, die bei aller Gedecktheit licht erscheinen, und übereinander / ineinander / miteinander wirken.
Es ist ein Auf-und Absickern von Lichtwerten, die Flächen wirken im steten optischen Hin und Her beunruhigend und gleichzeitig maßvoll. Seine Farbpalette ist dabei so zurückgenommen, wie das Bildformat.
Lässt man sich auf die Eigenschaften der Bilder ein, erheben sich Fragen nach Raum und Zeit, nach Beständigkeit und Veränderung,
Die Bilder wollen darauf keine konturierten Antworten liefern. Sie bevorzugen das Flüchtige, lieben die Andeutung und sie tun das mit allen sinnlichen Möglichkeiten, welche die Malerei bieten kann.
Johannes Lacher möchte seine Bilder nicht dicht an dicht gehängt sehen, als entscheidender Akzent soll ein Bild in den Raum wirken.
Denn seine Bilder ändern ihr Aussehen je nach räumlichem Abstand, den man zu ihnen einnimmt: Je näher man ihnen kommt, desto deutlicher treten die singulären Merkmale der einzelnen Formen zutage, desto unverwechselbarer werden sie.
Es entsteht ein Spiel von Nuancen, Verschiebungen der Akzente, die für eine spürbare Rhythmisierung sorgen.
Lachers Malerei ist eine Malerei ohne Geschichte. Er bezieht sich auf nichts – weder auf Vorgefasstes noch auf Vorformuliertes. Er verfügt allein über seine Malerei, über seine Farben, über seine Erfahrungen, die er in der Mal-Zeit mit ihnen macht.
Die Bilder von Johannes Lacher sind auf diese Weise Zeitspeicher. Anders als die Fotografien erzählen die Bilder nicht, sind aber gleichwohl Spiegel von erlebtem Leben.
Natürlich wächst ein derartiges Malen nicht aus der hohlen Hand. Lacher ist Zeitgenosse. Er flieht nicht aus seiner Zeit in ein wie auch immer beschaffenes künstliches Paradies. Er hat die offene Tradition modernen Malens in seinem Rücken. Und damit geht er um. Mit der Geschichte eines befreiten Malens, eines freien Umgangs mit Farben, der ausschließlich offenen Regeln folgt. Die Subjektivität, aus der Lacher malt, ist auf die Subjektivität des Betrachters gerichtet, in der und mit der dieser sieht. So lasse ich den Arbeiten ihr Geheimnis und Ihnen, als Betrachter, Ihre eigene Sicht.
In der Konfrontation beider Bildmedien schärft sich der Blick – nicht nur auf die Mittel der Darstellung. Vom Zusammentreffen der beiden Künstler in der Villa Bosch profitieren vor allem die Betrachter:
Vermeintlich Bekanntes stellt sich im Dialog mitunter neuartig und intensiver dar, wobei unsere Haltung zum Motiv sich kontinuierlich verändert, denn ein Kunstwerk ist immer ein Instrument der Wahrnehmung, an dem sich Subjekt und Welt begegnen.
So geht es sowohl in diesen Fotografien, als auch in dieser Malerei um die Entwicklung von „Räumen", die durch eine sorgfältige Auslotung der Bildelemente und des Farbspektrums entstehen. Es ergibt sich ein Spiel aus Nähe und Tiefenwirkung, aus Transparenz und Undurchdringlichkeit.
Während das in den Fotografien vor allem aufgrund der verschiedenen Bildebenen geschieht, ist in der Malerei das Nebeneinander von lasierenden, sich in den Bildraum öffnenden und deckenden, in sich geschlossenen Farbflächen entscheidend für die Raumwirkung.

Kann - was so unterschiedlich wirkt - tatsächlich Gemeinsamkeiten aufweisen?
Fotografie ist nicht nur Dokumentation, sondern auch Inszenierung und im digitalen Zeitalter in jeder Form nachträglich manipulierbar. Sie ist in ihren kreativen Möglichkeiten der Malerei ein ganzes Stück näher gekommen.
So ergeben sich spannende Dissonanzen, mögen sie auch manchmal unter der Oberfläche der Bilder verlaufen.
Fotografie und Malerei treten hier in einen spannenden Dialog, strahlen unerwartete Harmonie aus, ergänzen und verstärken sich. Es entstehen Werkgruppen, die ganz neue Geschichten erzählen, Räume, die überraschen, und Eindrücke, die besprochen werden wollen.

© Ute Hübner